Heute habe ich nun die Schrift gelesen, die mir meine spanische Nachbarin Merce zugesteckt hat. Die soeben erschienene Nummer "Einblicke"
aus der Heftreihe Integrationsförderung aus dem Departement unseres
Zürcher Stadtpräsidenten widmet sich diesmal den älteren Spaniern in der
Schweiz.
Es sind Geschichten und Schicksale von Migrantinnen und Migranten.
Wir können erfahren, warum es zur Auswanderung kam. Es wird
nachvollziehbar, warum ihre Hoffnungen nicht alle erfüllt wurden. Es
wird von Heimweh gesprochen, von Fremdsein und schwer zu erreichender
Integration.
Die Aussagen aus dieser Schrift bestätigen die Klischees der
Schweizer Eigenart. Wir sind für die südländische Mentalität zu kühl, zu
nüchtern, zu verschlossen und angeblich eher unfähig, auf Mitmenschen
zuzugehen.
So sitze ich jetzt wieder einmal nachdenklich da, bin betrübt, dass
das Bild von uns immer noch mehrheitlich grau gemalt werden muss.
Ist es überhaupt möglich, für andere in allen Belangen angenehm zu
sein? Was die Fragen der sozialen Gerechtigkeit betrifft, teile ich die
Auffassung, dass sie eingefordert werden muss. Aber die Erwartungen
aneinander sind oft unerfüllbar. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen,
Systemen und sind unter anderen Lichteinfällen aufgewachsen. Warme und
kalte Orte bringen verschiedene Mentalitäten hervor.
Jetzt habe ich das Heft nochmals zur Hand genommen. Da ist mir
glücklicherweise noch ein ausgleichender Hinweis zugefallen. Die
Sozialarbeiterinnen, die die Interviews geführt haben, schreiben: "In
Spanien haben wir auch Schweizer Rentner angetroffen. Sie erzählten von
ihren Erfahrungen als Migranten, und es ist verblüffend, wie ähnlich
doch viele Probleme und Schwierigkeiten sind."
Ich sollte es ja wissen, lebte auch einmal einige Zeit im Ausland.
Vieles war mir fremd. Unterliefen mir Fehler oder löste ich
Missverständnisse aus, fühlte ich mich schlecht. Alles, was wir im
eigenen Land unbewusst aufnehmen – die Sprache, Regeln, Normen, Gesetze,
aber auch die Art wie Strassen und Wege bezeichnet werden − verleiht
einem Sicherheit. Im Ausland aber ist dieses Wissen oft nicht mehr viel
wert. Da bewegen wir uns dann die erste Zeit in einem luftleeren Raum,
fühlen uns einsam und unerwünscht.
Heute dürfen wir mit Unterstützung rechnen, finden Anlaufstellen,
die Wege zur Integration aufzeigen. Gerade auch die Heftreihe "Einblicke"
will das gegenseitige Verständnis wecken. Sicher werden aber immer
Wünsche und Sehnsüchte offen bleiben. Menschliche Beziehungen haben
etwas Unvollkommenes in sich. Das Leben will es offenbar so. Spannungen
machen das Leben spannend. Auch im eigenen Land, in der eigenen Familie,
an unseren Arbeitsplätzen und an vielen andern Orten auch, fühlen wir
uns oft fremd und heimatlos. Das müssen wir aushalten und dafür sorgen,
dass wir wenigstens mit uns selbst im Einklang sind
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