
Als Letizia anrief, hatte ich schon eine Weile zugeschaut,
wie auseinander gefallene Samenstände zur Erde fielen. Ich erzählte, was
ich sah. Wie diese blattartigen Flügel zwirbelnd herunterfielen. Wie
leicht sie seien und wie behutsam sie auf der Wiese landeten.
Etwas später rief Letizia erneut an. Offenbar hatte ich so
begeistert rapportiert, dass sie in ihrem Umfeld ebenfalls nach
fliegenden Samen ausschaute und mir darüber berichten wollte.
Inzwischen war es mir gelungen, Hagebuchen-Flügel als fliegende
Objekte zu fotografieren. Dank der Windböen wurde es möglich, sie sogar
am Himmel abzubilden.
Ich dachte an Helikopter, als ich sie fliegen sah. Auch an
Segelflugzeuge, als sie der Wind süd- und nordwärts zwang. Dieser Sturm,
der an verschieden Orten Bäume umfallen liess und grosser Schaden
anrichtete, zeigte sich in meinem Umfeld gnädig. Ich sah keine Schäden.
Und ich lernte viel von ihm.
Eine kleine Zahl solcher Fruchtstände landeten auf meinem
Fenstersims und mehrere auch auf dem Balkon. Für sie war die Reise dort
zu Ende. Ich holte eine Hand voll von ihnen zu mir ins Büro. Hier konnte
ich sie ruhig anschauen. Alle trugen noch den Samen auf sich. Keiner
ist verloren gegangen. Ihre Formen sind klar als dreilappige Flügel von
den Hagebuchen-Samenständen erkennbar. Und doch ist jedes Blatt ein
Original. Keines ist mit einem anderen deckungsgleich. Auf den ersten
Blick könnte man ihre Form mit einem Kleid vergleichen. Oder als Symbol
für Geborgenheit erklären, denn der Same, auch Nüsschen genannt, ist in
einer kleinen Mulde festgewachsen. Diese Blätter sind nicht flach. Sie
sind Gebilde. Wenn ich sie wende, erscheinen sie mir als Teil einer
Glocke.
An jenem Nachmittag vollzogen sich Samenflüge etappenweise. Je nach
Wind wurden sie nord- oder südwärts und auch im Kreis herum getrieben.
Es müssen Millionen abgefallen sein. Die grüne Wiese ist nun braun
gesprenkelt. Welcher Same wird keimen, wo darf ein neuer Baum wachsen?
Interessant auch, dass die Samen am Flügelblatt haften und sich erst am
Boden, vielleicht erst nach Regen oder Schnee, vom Blatt lösen. Sie
brauchen das Blatt als Flugobjekt, damit die Samen in ein weites Umfeld
verfrachtet werden können.
Die Blätter, die auf dem Fenstersims landeten, habe ich
fotografiert und später auf meinen Schreibtisch gelegt. Da konnte ich
sie in aller Ruhe betrachten. Sie waren von einem Geheimnis umgeben. An
wen erinnerten sie mich? Plötzlich wusste ich es: An Pinguine,
schwimmende Pinguine, wenn sich diese ins Wasser werfen und dort
übermütig tauchen. Um schnell zu sein, strecken sie ihre Körper und die
Form entspricht, wenn auch vielfach vergrössert, den Formen eines
Blattes aus dem Hagebuch-Samenstand.
Ich sandte Letizia eine entsprechende Foto. Sie schrieb zurück
Ja Wahnsinn !
Ich seh die Pinguine schwimmen !!!
Sensationell.
Ich seh die Pinguine schwimmen !!!
Sensationell.
Sie war dabei, als wir vor wenigen Tagen den Zürcher Zoo besuchten
und auch bei den Pinguinen landeten. Wir beobachteten diese beim
Anmarsch ins überdeckte, durchsichtige Bassin aus Glas. Ihr wackelnder
Gang, ihr ganz eigener Charme, veränderten sich blitzschnell, als sie
ins Wasser sprangen. Wie Kinder, die zu allerlei Lumpereien aufgelegt
sind. Die Vitalität, die sie tauchend vorführten, verblüffte uns. Das
war Energie pur. Und wir konnten zuschauen, wie sie ihre Körper
vollständig veränderten. Die ausgezogene, neue Form, die fand ich dann
ein paar Tage später, vielfach verkleinert, in den abgefallenen
Hagebuchen-Flügeln
*
Pinguine werden übrigens als flugunfähige Seevögel bezeichnet.
Und die Samenstände reihe ich bei fliegenden Wesen ein, auch wenn sie vom Wind abhängig sind und sich nicht selber steuern können.